Ein lebenslanges Wohnrecht im Testament klingt wie eine freundliche Geste: Der überlebende Ehepartner darf bleiben, die Kinder erben das Haus. Doch in der Praxis wird daraus oft ein langwieriger Streit zwischen Familienmitgliedern, Notaren und dem Finanzamt. Warum? Weil viele nicht verstehen, was ein Wohnungsrecht wirklich bedeutet - und welche Fallstricke es birgt.
Was ist ein Wohnungsrecht wirklich?
Ein Wohnungsrecht nach § 1093 BGB ist kein Mietvertrag, kein Nießbrauch und auch kein Mitbenutzungsrecht. Es ist ein dingliches Recht, das nur eines erlaubt: Wohnen. Der Berechtigte - meist der überlebende Ehegatte - darf die Wohnung nutzen, aber nicht vermieten, nicht verkaufen, nicht an Kinder weitergeben. Und der neue Eigentümer - meist das Kind - darf gar nicht mehr dort wohnen. Selbst wenn er es will. Das ist kein Fehler, sondern Absicht. Aber genau das führt zu Konflikten.
Im Gegensatz zum persönlichen Wohnrecht (§ 1090 BGB), bei dem man nur mit dem Eigentümer zusammen wohnen darf, schließt das dingliche Wohnungsrecht den Eigentümer komplett aus. Keine gemeinsame Küche. Kein gemeinsamer Flur. Keine gemeinsame Nutzung. Nur der Berechtigte. Alles andere ist Verstoß.
Warum entstehen Konflikte im Erbfall?
Drei Hauptgründe sorgen dafür, dass aus einer guten Absicht ein juristischer Albtraum wird.
Erstens: Die Steuerfalle. Viele glauben, wenn das Haus an die Kinder geht und der Ehegatte nur das Wohnrecht behält, ist das steuerfrei. Falsch. Der Wert des Wohnrechts wird als geldwerter Vorteil angesehen - und steuerpflichtig. Der Freibetrag für Steuerklasse III (für Ehegatten) beträgt nur 20.000 Euro. Ein Wohnrecht von 200.000 Euro? Dann zahlt der Ehegatte 30 % Steuer auf 180.000 Euro - das sind 54.000 Euro. Gleichzeitig zahlen die Kinder Erbschaftssteuer auf den Immobilienwert abzüglich ihres eigenen Freibetrags von 400.000 Euro. Bei einem Haus von 500.000 Euro: 20.000 Euro Steuer. Insgesamt: 74.000 Euro Steuer. Für eine Familie, die nur wollte, dass niemand vertrieben wird.
Zweitens: Die leere Wohnung. Der Ehegatte zieht in ein Pflegeheim. Die Wohnung bleibt leer. Aber das Wohnrecht besteht weiter. Die Kinder, die jetzt Eigentümer sind, können nicht einziehen, nicht vermieten, nicht modernisieren - ohne Zustimmung. Und der Berechtigte? Er sitzt in der Klinik, zahlt weiter die Heizkosten, aber nutzt die Wohnung nicht. Das führt zu Wut, Schuldgefühlen und manchmal sogar zu Klagen. Der Bundesfinanzhof hat klar gesagt: Auch wenn die Wohnung leer steht, bleibt das Recht bestehen. Es sei denn, der Berechtigte stimmt zu, es aufzulösen.
Drittens: Die Kostenverwirrung. Wer zahlt die Heizung? Wer macht die Reparaturen? Wer bezahlt die Modernisierung? Wenn das nicht im Testament oder Notarvertrag steht, ist Streit vorprogrammiert. Ein kaputter Warmwasserboiler? Der Eigentümer sagt: Das ist dein Wohnrecht, du zahlst. Der Berechtigte sagt: Ich habe doch kein Eigentum, warum soll ich das bezahlen? Kein Wunder, dass 68 % der Fälle mit Wohnungsrechten im Testament irgendwann vor Gericht landen.
Wie man Konflikte von Anfang an vermeidet
Es gibt keine magische Lösung. Aber es gibt klare Regeln, die viele Probleme verhindern - wenn man sie vor der Unterzeichnung kennt.
1. Schreibe alles auf - und zwar genau. Ein einfacher Satz wie „Dem Ehegatten wird das Wohnrecht eingeräumt“ reicht nicht. Du brauchst:
- Die genaue Anschrift der Wohnung
- Wer trägt die laufenden Kosten (Grundsteuer, Versicherung, Heizung, Wasser)?
- Wer bezahlt Reparaturen? Und was ist mit Modernisierungen?
- Wann endet das Recht vorzeitig? (Zum Beispiel: nach 12 Monaten Nichtnutzung)
- Wie wird der Wert des Wohnrechts berechnet? (Für die Steuer)
Die Notarkammer Berlin sagt: 78 % der neuen Verträge enthalten heute eine Klausel zur vorzeitigen Beendigung bei Pflegebedürftigkeit. Das ist kein Zufall. Das ist klug.
2. Berechne den Wert des Wohnrechts richtig. Seit Januar 2024 gilt eine einheitliche Formel: Wohnwert = (Jährlicher Mietwert × 16,67) × (1 - 0,005 × Lebenserwartung). In München kostet eine 100 m²-Wohnung etwa 12.000 Euro pro Jahr im Mietwert. Bei einer Lebenserwartung von 15 Jahren: 12.000 × 16,67 = 200.000 Euro. Abzüglich 7,5 % (0,005 × 15): 185.000 Euro. Das ist der steuerliche Wert. Keine Schätzung. Kein Gerücht. Ein amtlich anerkannter Wert. Wer das nicht kennt, zahlt unnötig Steuern.
3. Mach eine Abfindung möglich. Wenn der Ehegatte in ein Pflegeheim zieht, kann er das Wohnrecht gegen eine einmalige Zahlung aufgeben. Die Höhe? Meist 65 % des berechneten Kapitalwerts. Das ist fair: Der Ehegatte bekommt Geld für seine Zukunft, die Kinder können endlich handeln. Das ist kein Verkauf. Es ist eine Lösung. Und sie ist rechtlich zulässig - wenn sie im Vertrag steht.
4. Kläre die Modernisierung. Der Deutsche Mieterbund empfiehlt eine Regelung von 70:30. Der Eigentümer zahlt 70 %, der Berechtigte 30 %. Warum? Weil der Eigentümer später vom Wertzuwachs profitiert. Der Berechtigte zahlt nur für den Nutzen, den er heute hat. Keine hohen Kosten. Keine Streitigkeiten.
Was passiert, wenn es doch zum Streit kommt?
Manchmal bleibt nichts anderes übrig als der Weg vor Gericht. Der Bundesgerichtshof hat 2023 klargestellt: Ein Wohnungsrecht kann vorzeitig enden, wenn die Vertragsgrundlage entfällt - zum Beispiel, wenn der Berechtigte die Wohnung jahrelang nicht nutzt und keine Absicht zeigt, zurückzukehren. Aber: Nur wenn der Eigentümer das gerichtlich durchsetzt. Und das kostet Zeit. Und Geld. Im Durchschnitt 14,3 Monate.
Ein Fall aus der Praxis: Ein Ehegatte zog nach 8 Jahren in ein Pflegeheim. Die Kinder baten ihn, das Wohnrecht aufzugeben. Er lehnte ab. Die Kinder klagten. Nach 16 Monaten wurde das Recht aufgehoben - mit einer Abfindung von 60 % des Kapitalwerts. Der Prozess kostete 18.000 Euro an Anwaltskosten. Die Abfindung: 110.000 Euro. Am Ende hatte die Familie 128.000 Euro ausgegeben - nur um zu entscheiden, wer in der Wohnung wohnen darf.
Was sich 2025 ändert - und warum du jetzt handeln musst
Seit Anfang 2024 gilt die neue Wohnwertverordnung. Sie vereinheitlicht die Berechnung. Das ist gut. Aber die Freibeträge sind noch immer veraltet. Der Deutsche Familienverband fordert seit 2024 eine Erhöhung des Freibetrags für Wohnungsrechte von 20.000 auf 100.000 Euro. Noch kein Gesetz. Aber die Debatte läuft.
Professoren an der Universität Heidelberg prognostizieren: Bis 2027 könnte es eine Regelung geben, die es erlaubt, Wohnungsrechte bei Pflegebedürftigkeit teilweise zu übertragen - etwa an einen nahestehenden Angehörigen. Das wäre ein großer Schritt. Aber bis dahin: Keine Hoffnung auf Gesetzesänderung. Nur auf Vorsorge.
Die Zahl der Streitigkeiten ist seit 2020 um 27 % gestiegen. Die Ursache? Einfach: Zu viele Menschen denken, ein Wohnrecht sei eine „sichere“ Lösung. Aber Sicherheit kommt nicht aus dem Wort „Wohnrecht“. Sie kommt aus der Vorbereitung.
Was du jetzt tun solltest
Wenn du eine Immobilie vererben willst und ein Wohnrecht vorsehen möchtest:
- Gehe nicht zum Notar mit der Idee, „einfach ein Wohnrecht einzuräumen“. Bring eine konkrete Vorlage mit.
- Rechne den Wert des Wohnrechts mit der offiziellen Formel aus - nicht mit Schätzungen.
- Vertrage klare Kostenregelungen - Heizung, Reparaturen, Modernisierung.
- Füge eine Klausel hinzu: „Das Wohnrecht endet, wenn der Berechtigte die Wohnung 12 Monate nicht mehr selbst bewohnt.“
- Prüfe, ob eine Abfindungsmöglichkeit sinnvoll ist - und schreibe sie fest.
Ein Wohnungsrecht kann eine gute Lösung sein - aber nur, wenn du es nicht als „einfache“ Regelung betrachtest. Es ist ein komplexes Recht, das genauso sorgfältig geplant werden muss wie eine Erbschaftsteuererklärung. Wer das ignoriert, baut eine Zeitbombe für seine Familie - und zahlt am Ende mit Geld, Zeit und Beziehungen.