Bewertung von Immobilien in Schrumpfungsregionen: So berücksichtigen Sie Demografie und Leerstand richtig

Warum traditionelle Immobilienbewertungen in schrumpfenden Regionen scheitern

Ein Haus in einer ostdeutschen Kleinstadt wird oft noch so bewertet, als würde die Bevölkerung wachsen. Doch das ist ein gefährlicher Irrtum. In Regionen mit anhaltendem Bevölkerungsrückgang - wie in Teilen von Sachsen-Anhalt, Thüringen oder dem Ruhrgebiet - sinkt die Nachfrage nach Wohnraum, während die Zahl leerstehender Gebäude steigt. Wer hier den Wert einer Immobilie nach den Regeln aus wachsenden Städten berechnet, überschätzt den Preis um bis zu 40 Prozent. Die Folge? Objekte liegen monatelang unverkauft, Investoren verlieren Geld, und Banken vergeben Kredite auf unrealistische Sicherheiten.

Die Ursache liegt in der Methode. Traditionelle Bewertungsverfahren - wie das Vergleichswertverfahren oder das Ertragswertverfahren - gehen stillschweigend davon aus, dass der Markt stabil oder wachsend ist. Sie nutzen Vergleichsobjekte aus der Nachbarschaft, die vielleicht vor zehn Jahren noch verkauft wurden. Doch in Schrumpfungsregionen gibt es kaum noch Transaktionen. Der Markt ist illiquide. Und wenn doch ein Haus verkauft wird, dann meist zu einem Bruchteil des ursprünglichen Wertes.

Was genau ist eine Schrumpfungsregion?

Nicht jede Stadt mit ein paar leeren Wohnungen ist eine Schrumpfungsregion. Der Begriff ist genau definiert: Laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) werden Gemeinden anhand von fünf Indikatoren klassifiziert. Dazu gehören Bevölkerungsrückgang, Alterung der Bevölkerung, Abwanderung und sinkende Geburtenraten. Diese Faktoren werden gewichtet - demografische Daten zählen doppelt so stark wie wirtschaftliche.

Ein Ort gilt als „schrumpfend“, wenn er 6 bis 10 Punkte erreicht. „Überdurchschnittlich schrumpfend“ sind Regionen mit 0 bis 5 Punkten. In Sachsen-Anhalt liegt die Leerstandsquote bei 12,6 Prozent, in Sachsen und Thüringen bei jeweils 10 Prozent. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei knapp 6 Prozent. Das ist kein Zufall. In diesen Regionen sind seit den 1990er Jahren mehr als 1,5 Millionen Menschen abgewandert. Die Geburtenrate liegt unter 1,3 Kindern pro Frau - weit unter dem Ersatzniveau von 2,1.

Leerstand ist kein Randproblem - er bestimmt den Wert

Ein Haus mit drei Zimmern, frisch gestrichen und neuem Boden, mag wie ein Schnäppchen wirken. Doch wenn in der Straße drei von fünf Häusern leerstehen, ist der Wert nicht mehr nur eine Frage der Ausstattung. Der GEWOS-Institut definiert 3 Prozent Leerstand als akzeptabel. Alles darüber ist ein Warnsignal. In einigen Ortsteilen von Dessau-Roßlau oder Görlitz liegt der Leerstand bei über 20 Prozent. Das bedeutet: Selbst wenn ein Haus gut instand gehalten ist, wird es kaum noch nachgefragt.

Warum? Weil die Nachbarschaft nicht mehr lebendig ist. Keine Kinder in den Schulen, keine Kunden im Laden, keine Arbeitsplätze. Das schreckt Käufer ab - egal wie schön das Gebäude ist. Ein Gutachter aus dem Landkreis Bautzen setzt deshalb inzwischen bei Immobilien in ländlichen Schrumpfungsregionen automatisch einen jährlichen Wertverlust von 5 Prozent an. Das ist keine willkürliche Zahl. Sie basiert auf beobachteten Verkaufspreisen über die letzten fünf Jahre.

Demografie ist der entscheidende Faktor - nicht der Quadratmeterpreis

Ein Immobilienwert wird nicht mehr von der Größe des Hauses bestimmt, sondern von der Altersstruktur der Bevölkerung. In Herne, Ennepe-Ruhr-Kreis und Bottrop ist die Bevölkerung im Durchschnitt 52 Jahre alt. Jeder dritte Einwohner ist über 65. Das bedeutet: Viele Wohnungen werden nicht mehr benötigt, weil die Bewohner in Pflegeheime ziehen oder versterben. Und die Jüngeren ziehen weg - in größere Städte oder in den Süden.

Die Bundesregierung hat das erkannt. Seit Januar 2023 verlangt der Gutachterausschuss für Immobilienwerte in Sachsen-Anhalt explizit die Einbeziehung der 10-Jahres-Bevölkerungsprognose bei jeder Wohnimmobilienbewertung in Gemeinden mit mehr als 5 Prozent Leerstand. Das ist ein Meilenstein. Denn bisher wurde die Demografie oft nur als „Hintergrundinformation“ behandelt. Jetzt ist sie zwingend Teil der Bewertungsgrundlage.

Waage mit wachsenden Städten auf einer Seite und schrumpfenden Regionen mit fallenden Bevölkerungszahlen und Leerstand auf der anderen.

Was macht eine gute Bewertung in Schrumpfungsregionen aus?

Es gibt keine einfache Formel. Aber es gibt klare Prinzipien.

  1. Verwenden Sie keine Vergleichsobjekte aus wachsenden Regionen. Ein Haus in München ist kein Maßstab für ein Haus in Zwickau.
  2. Integrieren Sie die Bevölkerungsprognose. Nutzen Sie Daten vom Statistischen Bundesamt oder vom BBSR. Wie viele Menschen werden in 5 oder 10 Jahren noch dort leben?
  3. Berücksichtigen Sie den regionalen Leerstand. Nicht nur das eigene Haus, sondern die gesamte Nachbarschaft zählt. Ein Haus in einer Straße mit 15 Prozent Leerstand hat einen anderen Wert als eines in einer mit 4 Prozent.
  4. Rechnen Sie mit Wertverlust. Setzen Sie realistische Abschläge an - nicht nur für den Zustand des Gebäudes, sondern für die Entwicklung der Region.
  5. Denken Sie in Szenarien. Wie sieht die Region aus, wenn die Bevölkerung um 10 Prozent sinkt? Was passiert, wenn ein großer Arbeitgeber schließt? Ein Gutachter sollte mindestens zwei Szenarien berechnen: ein pessimistisches und ein realistisches.

Ein Beispiel: Ein Einfamilienhaus in einem Ortsteil von Hoyerswerda mit 120 Quadratmetern, guter Dämmung und neuer Heizung wurde 2020 mit 140.000 Euro bewertet. 2024 wurde es für 82.000 Euro verkauft - trotz Renovierung. Warum? Weil die Bevölkerung in der Gemeinde seit 2015 um 8 Prozent zurückgegangen ist. Und weil die Stadt nicht mehr genug Investitionen in Infrastruktur bekommt. Die Bewertung von 2020 war falsch - nicht weil sie schlecht gemacht wurde, sondern weil sie den Kontext ignorierte.

Die Kosten der falschen Bewertung

Falsche Bewertungen haben echte Folgen. Im Landkreis Altmark Salzwedel wurde 2019 ein Haus mit 165.000 Euro bewertet. Es blieb zwei Jahre unverkauft. Dann wurde es für 86.000 Euro versteigert - nur 52 Prozent des ursprünglichen Wertes. Die Bank, die den Kredit vergeben hatte, musste einen Verlust verbuchen. Der Eigentümer, ein Rentner, konnte seine Altersvorsorge nicht mehr aufbauen.

Das ist kein Einzelfall. Laut dem Bundesverband Deutscher Pfandbriefbanken (2020) sind 37 Prozent aller Immobilienkredite in Ostdeutschland mit überhöhten Sicherheiten besichert. Das ist ein Risiko für das gesamte Finanzsystem. Und es ist vermeidbar.

Was tun, wenn Sie in einer Schrumpfungsregion wohnen?

Sie sind Eigentümer und wollen verkaufen? Dann lassen Sie sich nicht von einem Gutachter täuschen, der nur den Quadratmeterpreis aus der Zeit vor 2010 anwendet. Suchen Sie jemanden, der spezifische Erfahrung mit Schrumpfungsregionen hat. Fragt er nach der Bevölkerungsprognose? Nach den Leerstandsquoten in Ihrer Straße? Nach der Entwicklung der Arbeitsplätze in der Nähe? Wenn nein - suchen Sie einen anderen.

Sie möchten kaufen? Dann prüfen Sie die Daten. Geht die Bevölkerung zurück? Wie viele Wohnungen stehen leer? Hat die Stadt ein Sanierungsprogramm? Ist die Infrastruktur noch funktionsfähig? Ein Haus mit 30.000 Euro Kaufpreis ist nur dann ein Schnäppchen, wenn es auch später noch jemand kaufen will - oder wenn Sie es selbst nutzen.

Ein älterer Mann vor seinem Haus mit altem und neuem Verkaufsschild, im Hintergrund zwei verlassene Gebäude, herbstliche Stimmung.

Was kommt als Nächstes?

Die Bundesregierung arbeitet seit 2022 an einem bundesweiten Leitfaden für die Bewertung in Schrumpfungsregionen. Bis 2024 soll er fertig sein. Das ist ein wichtiger Schritt. Denn bisher gibt es keine einheitlichen Regeln. Jeder Gutachter macht es anders. Das führt zu Unrecht und Unsicherheit.

Aber es geht nicht nur um Regeln. Es geht um eine neue Denkweise. Wie die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) sagt: Es geht nicht mehr um Wachstum, sondern um Umbau. In Schrumpfungsregionen geht es nicht darum, mehr zu bauen. Sondern darum, das Beste aus dem zu machen, was noch da ist. Und das bedeutet: Wert nicht als etwas Festes, sondern als etwas, das sich mit der Gemeinschaft verändert.

Woher kommen die Daten?

Um eine realistische Bewertung zu machen, brauchen Sie verlässliche Daten. Die wichtigsten Quellen sind:

  • Statistisches Bundesamt: Bevölkerungsprognosen, Altersstruktur, Abwanderung
  • Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Klassifizierung von Gemeinden, Leerstandsdaten
  • Kommunale Meldeämter: Aktuelle Einwohnerzahlen, Haushaltsgrößen
  • ARL-Leitfaden „Demografischer Wandel in der Raumentwicklung“: Methodische Anleitungen für Gutachter

Ein Gutachter, der diese Daten nicht nutzt, arbeitet nicht professionell. Er arbeitet mit Augen zu.

Warum Ostdeutschland Vorreiter ist - und warum das für ganz Deutschland zählt

Ostdeutschland ist nicht nur das Problem. Es ist auch die Lösung. Die Erfahrungen hier sind die ersten, die man in Westdeutschland in 10 bis 15 Jahren machen wird. Im Ruhrgebiet, in Teilen Niedersachsens, in ländlichen Regionen Bayerns - überall wird die Bevölkerung älter, die Jugend wandert ab. Die gleichen Muster wie in Halle oder Magdeburg werden sich wiederholen.

Wer heute in Ostdeutschland lernt, wie man Immobilien richtig bewertet, der hat die Zukunft im Blick. Die Experten vom ifo Institut Dresden sagen es klar: „Die Lösungen, die wir hier entwickeln, werden auch für Westdeutschland relevant sein.“ Wer jetzt nicht aufpasst, wird später überrascht sein.