Stellen Sie sich vor: Sie ziehen aus, der Vermieter kommt zur Übergabe, und plötzlich wird behauptet, dass der Boden im Bad beschädigt sei - obwohl Sie ihn nur mit den Schuhen betreten haben. Oder Sie sind Vermieter und bekommen die Kaution nicht zurück, weil der Mieter behauptet, die Schäden seien schon vorher da gewesen. In beiden Fällen ist die Fotodokumentation bei Immobilienübergabe der entscheidende Beweis, der Streit verhindert - oder klärt.
Ein schriftliches Protokoll allein reicht heute nicht mehr. Es ist zu leicht zu interpretieren: Was ist „leichte Abnutzung“? Was gilt als „Verschleiß“? Fotos zeigen das, was Worte nicht können: exakt, objektiv, unverfälscht. Und sie sind vor Gericht viel stärker als jede Beschreibung. Laut einer Studie der LMU München reduzieren vollständige Fotodokumentationen Streitigkeiten um 67 %. Doch viele machen es falsch - und riskieren damit nicht nur die Kaution, sondern auch rechtliche Konsequenzen.
Warum Fotodokumentation nicht optional ist
Im Jahr 2023 waren rund 80 % aller Kautionsstreitigkeiten in Deutschland auf fehlende oder unzureichende Dokumentation zurückzuführen. Der Deutsche Mieterbund berichtet, dass Mieter in mehr als jeder dritten Übergabe unter Zeitdruck gedrängt werden, die Einwilligung für Fotos zu geben - oft ohne zu verstehen, was sie unterschreiben. Das ist nicht nur unfair, es ist rechtlich riskant.
Die Fotodokumentation ist kein Bonus, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Übergabe. Sie schützt beide Seiten: Der Mieter beweist, dass er die Wohnung in ordentlichem Zustand zurückgibt. Der Vermieter kann keine fiktiven Schäden geltend machen. Ohne Fotos bleibt alles auf „Ich sage, du sagst“ - und das ist ein Rechtsrisiko.
Ein Urteil des Landgerichts Frankenthal aus 2023 klärte: Ein Vermieter hat kein Recht, Fotos von Innenräumen zu machen, ohne die ausdrückliche Einwilligung des Mieters. Und diese Einwilligung muss zweckgebunden sein - also nur für die Übergabe und nicht für Werbezwecke. Wer das ignoriert, macht sich strafbar.
Was macht eine rechtssichere Fotodokumentation aus?
Nicht jedes Handyfoto reicht. Eine rechtssichere Fotodokumentation hat klare Regeln - und die sind seit März 2024 durch die neue DIN-Norm 18205-2 festgelegt.
- Auflösung und Qualität: Mindestens 300 dpi. Ein unscharfes Bild aus der Ecke des Zimmers ist kein Beweis - es ist ein Streitpunkt.
- Zeitstempel: Jedes Foto muss den genauen Datum- und Uhrzeitstempel enthalten. Der Handy- oder Kamerazeitstempel muss aktiviert sein - und darf nicht manuell verändert worden sein.
- Beleuchtung: Die Räume müssen mit mindestens 200 Lux ausgeleuchtet sein. Das entspricht etwa der Helligkeit einer gut beleuchteten Wohnzimmerlampe. Dunkle Ecken oder künstlich verdunkelte Bereiche sind unzulässig - das ist Betrug.
- Farbtreue: Eine Farbvergleichsplatte (z. B. X-Rite ColorChecker) muss in mindestens einem Foto zu sehen sein. So wird sichergestellt, dass Farben nicht durch Lichtverhältnisse verzerrt werden.
- Umfang: Mindestens 12 Fotos pro Raum, systematisch im Uhrzeigersinn. Kein Raum darf ausgelassen werden - nicht mal der Waschraum oder der Kellerabteil.
- Detailaufnahmen: Jeder Schaden - egal wie klein - muss aus mindestens zwei Blickwinkeln dokumentiert werden. Und immer mit einem Maßstab (z. B. einem 10-cm-Lineal) daneben. Ein Kratzer von 5 mm ist kein Schaden? Ein Foto beweist es.
Und wichtig: Jedes Foto muss verbal kommentiert werden - entweder während der Aufnahme (z. B. „Kratzer am Boden im Bad, rechts neben der Dusche“) oder schriftlich daneben. Das erhöht die Beweiskraft erheblich, wie das Landgericht München 2024 bestätigte.
Die Einwilligung: Der entscheidende Schritt
Die größte Fehlerquelle bei der Fotodokumentation ist nicht das Fotografieren - es ist die Einwilligung. Viele Vermieter denken: „Ich hab’s doch schon immer so gemacht.“ Aber seit dem Urteil des Landgerichts Frankenthal (2023) gilt: Stillschweigen ist keine Einwilligung.
Die Einwilligung muss:
- Schriftlich erfolgen - mündlich ist nicht nachweisbar (BGH, Urteil 2023).
- Zweckgebunden sein: „Ich erlaube die Aufnahme von Fotos zur Dokumentation des Zustands der Wohnung bei Übergabe.“
- Widerrufshinweis enthalten: „Sie können diese Einwilligung jederzeit schriftlich widerrufen.“
- Ohne Druck erteilt werden - kein Mieter darf unter Zeitdruck oder mit Drohungen zur Unterschrift gezwungen werden.
Die Rechtsanwaltskammer München empfiehlt, diese Einwilligung als separaten, unterschriebenen Zettel beizulegen - nicht als Teil des Mietvertrags, der vielleicht vor Jahren unterschrieben wurde. Jede Übergabe ist ein neuer Vorgang - und braucht eine neue Zustimmung.
Speicherung, Datenschutz und digitale Tools
Die Fotos sind kein „schnell mal aufs Handy“-Projekt. Sie müssen mindestens 30 Jahre gespeichert werden - denn das ist die Verjährungsfrist für Mängelansprüche nach § 195 BGB. Wer sie nach 6 Monaten löscht, macht sich strafbar, wenn später ein Schaden geltend gemacht wird.
Doch hier liegt die zweite große Gefahr: Datenschutz. Innenraumfotos gelten als personenbezogene Daten - sie zeigen, wie jemand lebt, was er besitzt, wie er wohnt. Das ist kein öffentliches Foto. Laut Bundesdatenschutzbeauftragtem (BfDI) führten 42 % der Fotodokumentationen im Jahr 2023 zu Verstößen - weil die Metadaten nicht gelöscht wurden. GPS-Daten, Kameramodell, Software-Version - all das bleibt in den Bildern, wenn man nicht aufpasst.
Die Lösung? Spezialisierte Apps wie „WohnungsCheck“ oder „MietProtokoll“. Die entfernen automatisch Metadaten, fügen Zeitstempel hinzu, speichern die Fotos verschlüsselt und erstellen ein digitales Protokoll mit Unterschrift. Das ist nicht teuer - zwischen 5 und 15 Euro pro Übergabe. Und es ist sicher.
Die elektronische Unterschrift ist übrigens rechtswirksam - vorausgesetzt, sie entspricht den Anforderungen der eIDAS-Verordnung. Ein einfaches „Ich stimme zu“ per E-Mail reicht nicht. Aber eine qualifizierte digitale Signatur mit Identitätsprüfung - ja. Der Bundestag plant sogar, diese Form ab 2026 als Standard zu etablieren.
Typische Fehler - und wie Sie sie vermeiden
Die meisten Probleme entstehen nicht durch böse Absicht, sondern durch Unwissenheit. Hier sind die häufigsten Fehler - und wie Sie sie vermeiden:
- Keine Fotos bei Tageslicht: 28 % der Übergaben werden bei schlechtem Licht gemacht - Schäden werden verdeckt. Planen Sie die Übergabe auf den Vormittag, wenn das Licht am besten ist.
- Nur „gute“ Seiten fotografiert: 22 % der Fälle: Nur die sauberen Räume werden fotografiert, die Schäden im Keller oder hinter dem Schrank ignoriert. Fotografieren Sie ALLES - auch die Ecken, die niemand sieht.
- Schäden vorher „geputzt“: 19 % der Mieter reinigen Schäden kurz vor der Übergabe - dann sind sie nicht mehr sichtbar. Aber das Foto zeigt den Zustand vor der Reinigung. Wer das tut, macht sich strafbar.
- Keine Übergabe mit Zeugen: Ein neutraler Zeuge (z. B. ein Nachbar oder ein Makler) unterschreibt das Protokoll - das erhöht die Glaubwürdigkeit.
- Keine Kopie für beide Seiten: Die Fotos und das Protokoll müssen sofort nach der Übergabe an beide Parteien gesendet werden - spätestens innerhalb von 14 Tagen (OLG Frankfurt).
Ein besonders kritischer Punkt: unbewohnte Wohnungen. Eine Studie der TU Dortmund zeigte, dass in 63 % der Fälle Schäden fälschlicherweise dem letzten Mieter angelastet werden - weil kein vorheriger Zustand dokumentiert war. Deshalb: Wenn eine Wohnung neu vermietet wird, muss der Zustand vor dem Einzug fotografiert werden - und zwar mit Zustimmung des Vormieters.
Was kostet das?
Ein professioneller Fotodokumentationsdienst kostet zwischen 50 und 200 Euro pro Objekt. Die meisten Anbieter, wie „FotoCheck Immobilien“, berechnen durchschnittlich 120 Euro für eine 80 m²-Wohnung - inklusive Fotos, Protokoll, digitaler Unterschrift und 30-jähriger Speicherung.
Wenn Sie es selbst machen, fallen nur die Kosten für die App an - und die Zeit. Eine vollständige Dokumentation einer 80 m²-Wohnung dauert etwa 2,5 Stunden - im Vergleich zu 45 Minuten für ein schriftliches Protokoll. Aber die Zeit ist investiert - nicht verschwendet. Denn ein einziger Streit um 1.200 Euro Kaution kostet mehr als zehn Fotodokumentationen.
Was kommt als Nächstes?
Die Digitalisierung schreitet voran. Bis 2027 sollen 65 % der professionellen Vermieter 3D-Scans nutzen - also digitale Raumbilder, die jeden Winkel, jede Ecke, jede Dicke der Wand erfassen. Das ist der nächste Schritt - aber auch hier gilt: Datenschutz bleibt oberste Priorität.
Der Gesetzgeber arbeitet an einem neuen Gesetz, das digitale Protokolle mit qualifizierter elektronischer Signatur als vollwertige Beweismittel anerkennt. Das wird die Prozesse vereinfachen - aber auch die Anforderungen verschärfen.
Die Botschaft ist klar: Wer heute keine rechtssichere Fotodokumentation macht, macht sich selbst zum Risiko. Es ist kein Luxus - es ist Standard. Und wer ihn ignoriert, zahlt später mit Geld, Zeit und Nerven.
Muss ich als Mieter der Fotodokumentation zustimmen?
Ja - aber nur, wenn die Einwilligung freiwillig, schriftlich und zweckgebunden ist. Ein Vermieter hat kein Recht, Fotos ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung zu machen. Wenn Sie nicht einwilligen, darf er keine Fotos aufnehmen. Allerdings kann er dann auch keine Schäden nachweisen - und Ihre Kaution könnte länger blockiert sein.
Darf ich Fotos von meiner Wohnung machen, bevor ich ausziehe?
Ja - und das sollten Sie sogar tun. Machen Sie Ihre eigenen Fotos vor der Übergabe - mit Zeitstempel und Ort. Diese Fotos können Sie später als Gegenbeweis verwenden, falls der Vermieter falsche Ansprüche stellt. Wichtig: Keine Fotos von anderen Personen, keine privaten Gegenstände wie Fotos an der Wand oder Kleidung - das wäre ein Datenschutzverstoß.
Was passiert, wenn der Vermieter die Fotos nicht zur Verfügung stellt?
Er verletzt seine Pflicht zur Beweissicherung. Sie können schriftlich verlangen, dass er Ihnen die vollständigen Fotos innerhalb von 14 Tagen übersendet. Wenn er das nicht tut, können Sie bei der Mieterberatung oder einem Anwalt nachfragen - und gegebenenfalls die Kaution ohne Rücksicht auf seine Ansprüche zurückfordern. Ein fehlendes Protokoll ist ein Beweis für seine Untätigkeit - nicht für Ihre Schuld.
Kann ich die Fotos löschen, nachdem ich die Kaution erhalten habe?
Nein - nicht, wenn Sie der Vermieter sind. Die Fotos müssen 30 Jahre gespeichert werden, weil Mängelansprüche bis dahin geltend gemacht werden können. Als Mieter können Sie Ihre eigenen Fotos löschen, sobald die Kaution ausgezahlt ist - aber nur, wenn Sie sicher sind, dass das offizielle Protokoll bei beiden Parteien gespeichert wurde. Bewahren Sie Ihre Kopie mindestens drei Jahre auf - für den Fall, dass später noch etwas auftaucht.
Was ist mit Fotos von Außenbereichen wie Balkon oder Garten?
Auch Außenbereiche müssen dokumentiert werden - aber hier gelten andere Regeln. Fotos von Balkon, Terrasse oder Garten gelten nicht als personenbezogene Daten, wenn sie keine Personen zeigen. Sie können sie ohne Einwilligung machen - aber nur, wenn sie Teil der Übergabe sind. Wenn Sie Fotos von Nachbarn oder deren Eigentum machen, brauchen Sie deren Zustimmung. Das gilt besonders für Gärten, die gemeinsam genutzt werden.
David Fritsche
Dezember 3 2025Diese ganze Fotodokumentation ist doch nur ein gigantisches Kontrollparadigma! Wer braucht schon 12 Fotos pro Raum? Ich hab mal ne Wohnung verlassen, da war der Boden ein bisschen kratzig – und der Vermieter hat mir trotzdem die Kaution gegeben, weil ich ihm ein Bier ausgegeben hab. 🍺